15 Falschinformationen und Pannen, die der OGH nicht überprüft hat

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Die falsche Pressemitteilung  der Tiroler Landesregierung von Donnerstag 5.3.2020 über die covidkranken Isländer, deren Ansteckung faktenwidrig am Rückflug kolportiert wurde, ist nicht die einzige Falschmeldung und auch nicht die einzige Panne, die in Zusammenhang mit Ischgl passiert sind.

Da der OGH eine Amtshaftung für die Fehler der Behörden aus rein formalen Gründen abgelehnt hat, hat er inhaltlich nicht weiter überprüft, ob ein Fehlverhalten der Behörden gegeben war.

Hier ist eine Liste von 15 Falschinformationen und Pannen, die nicht überprüft wurden. Sie sind im „Ischgl-Das Tagebuch“ genau beschrieben, das ich im Auftrag des Verbraucherschutzvereins (VSV) verfasst habe. Dafür habe ich Tausende Dokumente ausgewertet und zusammengefasst, die der Staatsanwaltschaft als Mails, Protokolle, Berichte oder Apps vorlagen. Die Staatsanwaltschaft war auf Grund einer Anzeige des VSV tätig geworden.

1. Falschinformation/Panne:
Falsche Presseinformation über Ansteckung am Rückflug ging von Wirtschaft aus

Die falsche Presseinformation über die abgereisten covidkranken Isländer vom 5. März 2020, in der die These der Ansteckung am Heimflug wider besseren Wissens kolportiert wurde ging von der Wirtschaft aus. Genauer gesagt, kam diese Pressemitteilung auf Initiative des Tourismusverbandes Paznaun Ischgl zustande, mit aktivem Zutun des Bezirkshauptmannes von Landeck und mit Mitwirkung/Wissen des damaligen Landeshauptmannes von Tirol.

2. Falschinformation/Panne:
Irreführende Pressemitteilung über
Covid-Fall in Pettneu

Über den coviderkrankten norwegischen Studenten in Pettneu wurde in der Pressemitteilung des Landes Tirol lediglich darauf hingewiesen, dass er aus Italien eingereist war. Es wurde dabei aber verschwiegen, dass dieser Student in Ischgl gewesen ist. Das musste dem zuständigen Bezirkshauptmannschaft in Landeck bekannt sein, denn sein Amtsarzt hatte diesen Studenten persönlich getestet und aufgesucht. Ein wichtiges Faktum bewusst zu verschweigen ist eine glatte Irreführung und jedenfalls keine vollständige Information in einer Situation, wo es darum geht, die Ausbreitung eines todbringenden Virus zu vermeiden. Die Aufmerksamkeit auf eine andere Quelle zu lenken (auf Italien) verstärkt diesen Eindruck.

3. Falschinformation/Panne:
Irreführende Presseinformation über Covid bei drei norwegischen Studenten

Freitag 6. März gibt die Tiroler Landesregierung in einer Pressemitteilung am späteren Abend bekannt, dass sich weitere drei norwegische Studenten angesteckt haben, die in Innsbruck bzw. Innsbruck Land wohnten. Es wird darauf verwiesen, dass sie sich im Kontakt mit Norwegern angesteckt hätten, die in Norwegen auf Covid getestet worden waren. Nicht erwähnt wurde in dieser Presseaussendung die relevante Tatsache, dass  diese drei norwegischen Studenten in Ischgl gewesen waren! Diese Tatsache war der Landessanitätsdirektion in Innsbruck bereits an diesem Freitagabend bekannt gewesen, als die Presseaussendung hinausging. 

4. Falschinformation/Panne:
Hotspot Kitzloch schon am Freitag 6. März amtlich bekannt, nicht erst am Montag!

Bereits am Freitag 6. März 2023 war den zuständigen Behörden in Landeck (Bezirkshauptmannschaft seit in der Früh, Landespolizei am frühen Abend) bekannt, dass das Kitzloch ein Covid-„Hotspot“ war. Durch ein Mail der isländischen Reiseleiterin wurde ihnen mitgeteilt, dass 10 der 14 covidkranken abgereisten Isländer im Kitzloch gewesen waren. Das war die einzige Gemeinsamkeit der Isländer, die ja in zwei verschiedenen Gruppen in Ischgl gewesen sind. Trotzdem blieb das Kitzloch geöffnet, man verschob etwaige Erhebungen im Einvernehmen mit dem Amtsarzt auf nächsten Vormittag. Anmerkung: Keine einzige Apres-Ski-Bar hat an Vormittagen geöffnet, sondern erst ab 15 oder 16 Uhr nachmittags.

5. Falschinformation/Panne:
Kitzloch Kellner einen Tag früher getestet als bisher kolportiert

Der Kitzloch-Kellner wurde nicht erst am Samstag 7. März Abends positiv auf Covid-19 gestestet, sondern schon einen Tag davor, am Freitag den 6. März. Davon geht der OGH in seinem Urteil aus. Der sichtlich kranke Kellner wurde gegen 17 Uhr (zwei Stunden nach Öffnung des Kitzloch) vom Besitzer nach Hause geschickt. Das positive Testergebnis wurde aber nicht bekannt gegeben. Erst nach dem zweiten Test des Kellners am nächsten Tag (Samstag 7. März) wurde am späten Abend seine Covid-Erkrankung öffentlich bekannt gegeben. Das Kitzloch blieb an diesem Samstag bis kurz vor regulärem Betriebsschluss offen, nachdem 16 Kontaktpersonen des Kellners als Verdachtsfälle in ihre Zimmer geschickt worden waren. Am darauffolgenden Montag mahnt bei der Landeseinsatzleitung eine Mitarbeiterin der Landessanitätsdirektion, dass Testergebnisse „sofort“ mitgeteilt werden müssten.

6. Falschinformation/Panne:
Plötzlich „Barkeeper“ statt „Kellner“
und „Norweger statt Deutscher 

In der Pressemitteilung der Tiroler Landesregierung vom Sonntag 8. März wurde aus dem coviderkrankten „Kellner“ des Kitzloch ein „Barkeeper“. Der Unterschied: Kellner im Kitzloch drängen sich mit Trillerpfeife durch die Gästemassen und sind daher mitten im Ansteckungs-Geschehen. Ein „Barkeeper“ ist in einem gewissen Abstand vom Publikum und durch eine Theke vor dem Publikum getrennt. Aus dem Man, der beim Kontakt-Tracing zweifelsfrei als  deutscher Staatsbürger identifiziert worden war, wurde ein Norweger.

7. Falschinformation/Panne:
Irrtum der Mitarbeiterin der Landessanitätsdirektion erleichtert Öffnung des Kitzloch 

Obwohl am Sonntag 8. März auf Anweisung des Amtsarztes insgesamt 22 Verdachtsfälle (!!) als Kontaktpersonen des covid-kranken Kellners abgesondert wurden, durfte das Kitzloch am Nachmittag wieder geöffnet werden: mit ausgetauschtem Personal (das teilweise im selben Personalhaus nächtigte wie die Verdachtsfälle) und nach einer Wischdesinfektion. Der (an sich sehr kritischen) Mitarbeiterin der Landessanitätsdirektion in Innsbruck unterlief ein folgenschwerer Irrtum: sie glaubte, dass es sich beim Kitzloch um ein Restaurant handle (bei dem die Kellner eine gewisse Distanz zu den Gästen wahren) und nicht um ein Apres Ski Lokal, bei dem die Menschen dicht gedrängt feiern, trinken, singen und schunkeln. Tatsächlich ist das Kitzloch in der Theorie beides: von 15 bis 19 Uhr Apres-Ski-Bar und von 20 Uhr bis zur Sperrstunde Restauratsbetrieb. Das Kitzloch war an diesem Sonntag mit 200 Gästen hervorragend besucht und somit ein wahres Eldorado für das Virus.

8. Falschinformation/Panne:
Test-Auswertung der  22 Verdachtsfälle verschleppt – Blut-und Harnproben verloren

Obwohl die 22 Kontaktpersonen des Kitzloch-Kellners bereits am Sonntag früh getestet wurden (8. März), schleppte sich ihre Auswertung bis in den Montag Nachmittag hin (9. März). Zwei Testläufe an der Uni Innsbruck an diesem Sonntag um 14 und 17 Uhr werden verpasst. Verloren gingen auch Blut- und Harnproben, die Aufschluss über den Zeitpunkt der Ansteckung hätten gegeben können.

9. Falschinformation/Panne:
Südtirol schließt alle Lifte (36 Fälle) –Tirol nur das Kitzloch (bei 65 Fälle, davon 23 akut)

An diesem Montagabend (9.März) beendet das benachbarte Südtirol bei 36 Covid-Fällen vorzeitig die Skisaison, schließt vorzeitig alle Skilifte. Tirol ringt sich lediglich dazu durch, eine einzige Apres-Ski-Bar zu schließen – das Kitzloch. Dies, obwohl es in Zusammenhang mit Tirol bereits 65 Covid-Fälle gibt, davon 23 akut in Ischgl. Nach Island (seit Donnerstag) warnten an diesem Tag auch Dänemark, Norwegen und Schweden offiziell vor Reisen nach Tirol/Ischgl. Kein Wunder, dass der Oberseilbahner Hörl sein legendäres „Hottentotten“ SMS an den Kitzloch-Betreiber abschickt, mit dem er diesen nahelegt, sein Kitzloch endlich zu schließen.

10. Falschinformation/Panne:
Am nächsten Dienstag passiert trotz massiv gestiegener Covid-Fälle praktisch nichts 

Die Touristiker lehnen einen vorzeitigen Saisonschluss wie ins Südtirol ab, zunächst auch der damalige Landeshauptmann. Erst am Abend dieses Dienstag (10.3.) um 18.15 verabschiedet der Bezirkshauptmann von Landeck eine Verordnung, mit der auch die restlichen 12 Apres-Ski-Lokale in Ischgl geschlossen werden und Gondeln und Busse nur mit halber Personenkapazität fahren sollen. In Kraft tritt diese Verordnung allerdings erst am nächsten Mittwoch, den 11.3, sodass an diesem Diestag Abend in den Apres-Ski-Lokalen noch munter weitergefeiert und das Virus sich weiter verbreiten kann.

11. Falschinformation/Panne:
Ex-Landeshauptmann zögert Lift-Schließung hinaus – Nicht alle Apres-Ski-Bars zu

Zwei der 12 Apres-Ski-Bars haben trotz Verordung auch an diesem Mittwoch 11.3 noch geöffnet, ergibt sich aus Kontrollen der Polizei. Ex-Landeshauptmann Platter überlegt am Mittwoch (11.3) intern ein vorläufiges Ende der Skisaison in Ischgl mit kommenden Freitag an. Bis dahin soll Ischgl „leergefahren werden“, d.h. alle Gäste ausreisen und keine neuen mehr kommen. Dann überlegt er es sich anders und kündigt in einer abendlichen Pressekonferenz die Schließung der Lifte in Ischgl erst für Samstag an.

12. Falschinformation/Panne:
Vorzeitige Schließung der Ischgler Lifte wird nicht umgesetzt

Angesichts der grassierenden Covid-Zahlen verfügt die Bezirkshauptmannschaft von Landeck nach Rücksprache mit dem Ex-Landeshauptmann ein vorgezogenes Schließen der Lifte in Ischgl bereits mit Donnerstag, 12.3. Fakt ist, dass dieser Beschluss nicht umgesetzt wird. Der Bezirkshauptmann von Landeck, der vor der Rohrer-Kommission die Schließung der Lifte in Ischgl mit Donnerstag 12.3 noch bestätigt hatte, machte später in seiner Aussage vor der Staatsanwaltschaft eine Art Rückzieher: Er habe sich im Datum geirrt und immer Freitag 13.3 als roten Faden im Auge gehabt. Mit seiner Aussage vor der Staatsanwaltschaft entlastet der Bezirkshauptmann von Landeck den Bürgermeister von Ischgl, dem die Rohrer-Kommission vorgeworfen hatte, die Umsetzung dieser Verordnung auf Samstag widerrechtlich verschleppt zu haben.

13. Falschinformation/Panne:
Ex-Kanzler kündigte Quarantäne ohne rechtliche Grundlage an – Polizei war machtlos

Am Freitag 13. März 2020 verkündet Ex-Kanzler Kurz um 14 Uhr in einer vom ORF übertragenen (und bereits um 10 Uhr vormittags angekündigten) Pressekonferenz, eine Quarantäne über das Paznauntal, zu dem auch Ischgl und St. Anton gehören. Einheimische und sämtliches Personal müssen auf Kosten der Hotels im Tal bleiben. Ex-Innenminister und aktueller Bundeskanzler Nehammer fügte hinzu, dass ausländische Gäste ausreisen dürfen. Nach dieser Ankündigung kam es zu einer panikartigen Abreisewelle, mit überfüllten Bussen und Autos, wobei es wohl erst recht zu Ansteckungen gekommen sein wird.

Fakt ist: Zum Zeitpunkt von Kurzens Pressekonfernz war mit der für die Quarantäne notwendigem  Verordnung noch nicht einmal begonnen worden. Diesbezüglich stand der Ex-Kanzler nackt da. Diese Verordnung wurde von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Landeck erst um 19: 19 Uhr fertiggestellt und verschickt – mehr als fünf Stunden nach der Ankündigung des Kanzlers. Wegen der fehlenden Rechtsgrundlage konnte die Polizei niemanden aufhalten, sondern lediglich Verkehrskontrollen durchführen, also Führerscheine checken. Selbst die Formulare, die ausländische Gäste vor ihrer Heimfahrt hätten ausfüllen sollen, damit sie zu Hause von ihren Gesundheitsbehörden überprüft werden sollen, wurden überhaupt erst am späteren Nachmittag bereitgestellt, als die größte Ausreisewelle schon vorbei war.

14. Falschinformation/Panne:
Quarantäne-Verordnung in Ischgl erst einen Tag später (am Samstag früh) umgesetzt

In Ischgl wurde die Quarantäne-Verordnung nicht sofort schon am Freitag Abend umgegesetzt, sondern erst einen Tag später, am Samstag in der Früh. So war es problemlos möglich, dass alle Tagesgäste und das Personal das Tal noch verlassen konnten, bevor sie in Quarantäne mussten. Ein Vergleich zwischen St. Anton (wo die Verordnung sofort umgesetzt worden war) zeigt, dass in Ischgl relativ wenig Personal durch die Quarantäne durchgefüttert wurden.

15. Falschinformation/Panne:
ÖBB vertraute Ex-Kanzler und ließ Züge nur mehr durchfahren
Fluggäste auf Tirol verteilt

Die ÖBB vertrauten den Ankündigungen des Ex-Kanzlers, warteten die Verordnung gar nicht ab und verfügten sofort, dass Züge nicht mehr in St. Anton anhielten, sondern nur mehr durchfuhren. In der Folge drängten sich eine große Menge abreisewilliger Gäste vor der Zugstation zusammen, was Ansteckungen wohl auch nicht gerade erschwerte. Auch rund 6.000 Gäste, die erst am nächsten oder übernächsten Tag mit dem Flugzeug von Innsbruck aus nach Hause fliegen sollten, wurden rasch mit Bussen aus dem Paznauntal herausgefahren und andernorts in Tirol untergebracht.