Klares Urteil gegen FIAT

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Ein selten klares Urteil fällte das Landgericht Dessau-Roßlau gegen ein abgasmanipuliertes FIAT Wohnmobil. Richterin Eisenträger verurteilte Fiat Chrysler Italien (FCA Italy) am 14.4.2022 dazu, dem Käufer eines „Knaus Tabbert Wohnmobils“ 42.964 Euro plus Zinsen zu zahlen. Das von der Rechtsanwaltskanzlei von Rueden erwirkte Urteil lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig und lässt wohl auch viele österreichische Camper und Caravan-Liebhaber hoffen, die ebenso wie das verurteilte Fahrzeug einen Fiat Ducato als Basisfahrzeug haben. Es geht um ein im Sommer 2018 gekauftes Wohnmobil – lange nach Auffliegen des VW Dieselskandals !

Der Wohnwagen wurde 2017 produziert, am 19 Juni 2018 für 50.199 Euro gekauft und am 10. August 2018 geliefert. Es handelt sich um ein Fahrzeug der Abgasklasse Euro 6 mit dem Motor Fi1, das von den italienischen Zulassungsbehörden genehmigt worden war, wobei die Motorsteuerungssoftware von der Robert Bosch GmbH geliefert wurde.

Rückblende auf diese schier unendliche Geschichte: Schon im April 2016 hatte die VW Untersuchungskommission in ihrem Bericht festgestellt, dass FIAT Autos unzulässige Abschalteinrichtungen verwenden. In einer Besprechung zwischen der deutschen Zulassungsbehörde „Kraftfahrt-Bundesamt“ (KBA) und Bosch, versicherte die Zulieferfirma Bosch, dass diese Abschalteinrichtung nach Auskunft von FIAT der italienischen Zulassungsbehörde im Mai 2016 offengelegt worden sei und dass es sich dabei um eine rechtlich zulässige Motorschutzmaßnahme handle.

Flapsig gesagt, ging es darum, dass das Abgasreinigungssystem 22 Minuten nach Start reduziert bzw. teilweise völlig deaktiviert wurde, sodass das Auto auf der Straße ein Vielfaches des erlaubten Abgases (Stickoxid) in die Luft jagte, während es die Grenzwerte am Prüfstand locker einhalten konnte, da das Testverfahren am Prüfstand kürzer als 22 Minuten dauert.

Technisch gesprochen, wurde die Zuschaltraten des Abgasreinigungssystems (AGR) 22 Minuten nach Start reduziert bzw. der Speicherkatalysator (NSK) ebenfalls nach 22 Minuten oder nach 6 Regenerationen deaktiviert.

 Das KBA kam schon 2016 aufgrund eigener, tiefergehender Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Stickoxidwerte aufgrund der beschriebenen Abschaltungen deutlich überhöht sind und informierte das deutsche Verkehrsministerium. Gleichzeitig konfrontierte der deutsche Hersteller von Wohnmobilaufbauten, die Knaus Tabbert GmbH, das deutsche Verkehrsministerium mit der Befürchtung, dass das KBA künftig keine Fiat Ducato Modelle mehr genehmigen bzw. die bestehende Typengenehmigung widerrufen würde. Das wäre ein schwerer Schlag für die Aufbautenproduzenten, denn der Ducato ist ein äußerst beliebtes Basismodell für Wohnwägen – auch in Österreich. Daraufhin forderte das KBA den Hersteller FIAT auf, nachträglich offenzulegen, ob eine Abschalteinrichtung eingebaut worden ist und die entsprechende Motorensteuerungssoftware offen zu legen.  Das KBA teilte seine Erkenntnis, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorliegt auch direkt der italienischen Zulassungsbehörde mit.

Die italienische Behörde nahm eigene Tests vor und kam – hört, hört – zu dem Ergebnis, dass das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung ausgeschlossen sei. Daraufhin schaltete der deutsche Verkehrsminister am 31. August 2016 die Europäische Kommission ein, um eine gemeinsame Lösung mit den italienischen Behörden zu finden. Von 2004 bis kurz zu seinem Tode im Jahr 2018 war Sergio Marchionne FIAT-Chef.

Sechs Jahre später stellte sich nach einer Anfrage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) heraus, dass dieses Problem noch immer nicht gelöst ist. Denn vor einem Jahr, am 5. Mai 2021, musste das KBA  gegenüber der DUH einräumen, dass man weitere Schritte prüfe, um die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen, weil die zuständigen Behörden keine Maßnahmen eingeleitet hätten.

Zwischenstand: von2016 bis 2021 gab es für FIAT keinerlei Konsequenzen!!

Zurück zu diesem Gerichtsverfahren, der ein bezeichnendes Licht auf den Hersteller im Umgang mit seinen Kunden wirft. Das Gericht forderte FIAT am 23.12.2021 auf zu klären, ob er die Existenz dieser Zeituhr bestreite oder ob er lediglich die rechtliche Ansicht vertrete, dass es sich um keine unzulässige Abschalteinrichtung handle. FIAT hat auf diese Anfrage des Gerichts nicht reagiert und damit gegen die prozessualen Pflichten gemäß § 138 Abs.2 3 ZPO verstoßen. „Folge dessen ist, dass der Vortrag des Klägers als zugestanden gilt“, steht im Urteil wörtlich zu lesen, das mir vorliegt.

Das Gericht sieht in dieser Zeitschaltuhr eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil es sich um einen Konstruktionsteil handle, das Temperatur, Fahrzeuggeschwindigkeit, Motordrehzahl, eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige, Parameter ermittelt um die

Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetreib vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

Die Voraussetzungen für Ausnahmen von dieser Regel sind nicht gegeben. Es handle sich daher um eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB. Die besondere Verwerflichkeit von FIAT bestehe darin, so das Urteil, „dass nicht nur das Fahrzeug des Klägers als Einzelfall betroffen ist, sondern….eine Vielzahl von Fahrzeugen  von der Verwendung der Zeituhr betroffen ist. Negativ ins Gewicht falle auch, dass FIAT seit Eintritt des Schadens keinerlei Versuche gemacht habe, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Verurteilt wurde dabei die FCA Italy S.p.a aus Turin, nicht jedoch Stellantis mit Hauptsitz in den Niederlanden, die FIAT Chrysler inzwischen übernommen haben.

Noch spannend: ebenso wie bei manipulierten Pkw wird auch bei Wohnwägen vom erstrittenen Schadenersatz (in diesem Fall vom Rückkauf des Wohnmobils) ein Nutzungsgeld abgezogen.  Anders als bei Pkw kommt es nicht auf die gefahrenen Kilometer an, sondern auf die Tage, in denen das Wohnmobil genutzt wurde. Die Formel heisst: Kaufpreis mal tatsächliche Nutzungszeit in Tagen dividiert durch Gesamtlebensdauer minus Nutzungszeit bei Kauf in Tagen.

In diesem Fall wird eine Gesamtlebensdauer von 25 Jahren unterstellt, weil es sich um ein Neufahrzeug handelte. Die tatsächliche Nutzungszeit wird vom Gericht mit 1.315 Tagen angenommen (vom 10.8.2018 dem Tag der Lieferung bis am 16.3.2022 zum ersten Tag der mündlichen Verhandlung vor Gericht). Bei 50.199 Euro Kaufpreis ergibt sich eine Nutzungsentschädigung von 7.234,16 und damit ein Rückzahlungsanspruch von 42.964,84