VW: 1.000en Südtirolern winkt Schadenersatz

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60 Südtiroler haben VW mit Hilfe des österreichischen Verbaucherschutzvereins (VSV) in Deutschland schon geklagt, der erste Erfolgreiche bekam 9.000 Euro. Weiteren 1.000 VW-Geschädigten aus Südtirol winkt nun ebenfalls Schadenersatz von VW. Denn die grenzüberschreitende Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Südtirol (VZS) wurde vom Oberlandesgericht Braunschweig am 22. Februar 2022 für zulässig erklärt. „Wir sind mit Ausgang des ersten Prozesstags sehr zufrieden und rechnen frühestens im Herbst mit Ergebnissen“, teilt mir VZS-Geschäftsführerin Gunde Bauhofer am Telefon mit.

 

VW hatte beantragt, die Klage der Südtiroler Verbraucherschützer ab zu weisen, ist damit beim Senat IV des Oberlandesgerichts Braunschweig aber nicht durchgekommen. Unter Vorsitz von Richter Alexander Wiemerslage hat sich der Senat darauf festgelegt, dass die Klagen der Südtiroler vor dem deutschen Gericht nach italienischem Recht beurteilt werden.

„Das kann von Vorteil sein“, meint VZS-Geschäftsführerin Bauhofer. Denn das italienische Recht geht bei der Höhe des Schadenersatzes von einem fixen Anteil (Prozent) am Kaufpreis aus, von zirka 20 Prozent. Wieviel Kilometer man mit dem Wagen gefahren ist, spielt keine Rolle und auch nicht, wie alt das Fahrzeug ist. „Je älter das Auto ist, je günstiger man es gekauft hat und je weiter man damit gefahren ist, desto günstiger steigt man mit dem italienischen Recht aus“, fügt Bauhofer hinzu. Sie wirft einen hoffnugnsvollen Blick auf die Sammelklage von 63.000 italienischen Diesel-Klagen von „Altroconsumo“ vom Gericht in Venedig zwischen 3.300 und 6.000 Euro zugesprochen bekamen.

Würden die Südtiroler-Diesel-Fälle hingegen nach deutschem Recht beurteilt, muss vom ursprünglichen Kaufpreis jedesmal ein Nutzungsentgelt für die gefahrenen Kilometer abgezogen werden. Je günstiger das Auto beim Kauf war und je weiter damit gefahren wurde, desto schlechter steigen die Kläger nach deutschem Recht aus. Mehr mehr als 250.000 Kilometer gefahren ist, geht leer aus. War hingegen das Auto ein teurer Neuwagen und wurde damit wenig gefahren, bringt das deutsche Recht mehr für den klagenden Kunden.

Wie alle Verbraucherschützer hofft Bauhofer auf einen generellen Vergleich mit VW. Einen solchen hatte der Vorsitzende Richter Wiemerlslage in der Verhandlung auch angeboten. Allerdings wollte VW in der mündlichen Verhandlung dazu noch keine Stellung nehmen.

Damit bleibt es beim vereinbarten Ablauf: im April wird der umfassende Fragebogen des Gerichts noch ergänzt, auch die Parteien dürfen ihre Fragen einbringen. Am 6. Mai 2022 wird ein Gutachter oder eine Gutachterin namentlich bestellt, wobei klar ist, dass diese Rechtsexpertin oder der Rechtsexperte für italienisches Recht in Deutschland an einer Universität beheimatet sein muss. Der Gutachterin oder dem Gutachter wird man voraussichtlich mehrere Monate einräumen müssen, um alle die gestellten Detailfragen beantworten zu können. „Ein bis zwei Monate wird er oder sie schon brauchen“, schätzt VZS-Geschäftsführerin Bauhofer. Womit man schon mitten im „Ferragosto“ gelandet wäre. Unterstützt wurden die Südtiroler von den Rechtsanwälten Rodolfo Dolce und Stefano Dangel.

Die grenzüberschreitende Musterfeststellungsklage der Südtiroler Verbraucherschützer ist völlig einmal in dieser Art. Sie betrifft ausschließlich manipulierte Diesel-Fahrzeuge aus dem VW Konzern (VW, Seat, Skoda, Audi) mit dem Betrugsmotor EA 189 aus den Baujahren von 2009 bis 2015, die im Zuge des VW Dieselskandals im September 2015 aufgeflogen ist. Die deutsche Rechtsprechung und der EuGH haben für diese Fälle eindeutig eine arglistige Täuschung der Kunden festgestellt, sodass diese Fälle rechtlich eine g’mahnte Wies’n sind.

Die Südtiroler Verbraucherschützer sind erst relativ spät, im Dezember 2020, auf Dieselklagen aufgesprungen und hat diese grenzüberschreitende Musterfestellungsklage beantragt. Anfang 2021 wurde die Eintragung ins deutsche Klagregister gestattet. Ein Jahr lang hat es gedauert, bis die erste mündliche Verhandlung vor dem OLG Braunschweig stattfand.

Die Verbraucherzentrale Südtirol hat den Vorteil, zu Klagen legitimiert zu sein, anders als der österreichischen Verbraucherschutzverein (VSV). Dieser hatte 2019 dennoch einen Weg gefunden, für Südtiroler und Österreicher VW-Geschädigte Pionierarbeit zu leisten und sie an der deutschen Musterfeststellungsklage gegen VW zu beteiligen.

Damals beteiligten sich 300 Südtiroler mit Hilfe des VSV an der deutschen Musterfeststellungsklage, gingen beim anschließenden Vergleich im Jahr 2020 aber ebenso leer wie alle nicht-deutschen VW Kunden. 60 der abgeschmetterten Südtiroler reichten mit Hilfe des VSV und eines Prozessfinanzierers individuelle Klagen gegen VW in Deutschland ein. Der erste erfolgreiche Fall des Kastelruthers Arnold Trocker brachte diesem 9.000 Euro für seinen Audi Q5 ein, den er behalten durfte.
Auch hier spielt die Frage eine Rolle, ob nach deutschem oder italienischem Recht geurteilt wird. Jene Autos, die direkt in Deutschland gekauft wurden – wie das von Arnold Trocker – wurden nach deutschem Recht beurteilt. Bei den meisten anderen, in denen die Autos in Südtirol gekauft wurden, geht alles nach italienischem Recht.

Bereits Ende März soll dem zuständigen Landgericht Braunschweig das Rechtsgutachten eines italienischen Rechtsexperten vorliegen, das für das Gericht bindend ist und das alle gestellten Detailfragen klären soll.
Nicht nur bei der Verbraucherzentrale Südtirol wird man mit Spannung hinschauen, wie diese Verfahren enden.