Die Proteste gegen Bezos Prunk-Hochzeit in Venedig gehen uns alle an. Was die Bewohner der „Serenissima“ darüber denken, konnte ich hören und sehen, da ich gerade länger vor Ort war, neben Italienisch auch venezianisch spreche und diese großartige Lagunenstadt seit Jahrzehnten kenne. Über sechs Lektionen, die uns dieses Mega-Event deutlich vor Augen geführt hat, sollten wir auch nachdenken. Hand aufs Herz.

Lektion Nummer eins:
Inszenierung über alles
Dieses Spektakel war eine lupenreine PR-Aktion mit weltweitem Echo. Ein paar Millionen und ein paar Stars vor dieser weltweit einzigartigen Kulisse genügten, um den Bekanntheitsgrad des Amazon Gründers weltweit zu steigern. Unter dem Tisch fällt dabei völlig, dass das Geschäftsmodell von Amazon die Umwelt und die regionale Wirtschaft ruiniert sowie die nationalen Staatskassen schädigt.
Lektion Nummer zwei:
Nachahmer geschäftlich erwünscht.
Die protzig aufgezogene Hochzeit des Amazon Gründers ist eine Einladung an alle, die es sich leisten können und wollen: Kommt her, in Venedig kann man grandios feiern und sich exklusiv in grandiose Locations und Luxushotels einkaufen. Sofern das Spektakel teuer genug und prominent besetzt ist, kann man sich von Publikum bewundern und obendrein auf Staatskosten abschirmen lassen. Es ging da nicht um 250 Luxusgäste an fünf Tagen, die Venezia locker verkraftet. Was die Venezianer fürchten ist, dass immer mehr Milliardäre und Promis aus der ganzen Welt dem Beispiel Bezos folgen. Es gibt ja immer mehr Milliardäre und solche, die ihren Reichtum ungeniert zur Schau stellen wollen.
Lektion Nummer drei:
Diese Stadt ist käuflich.
Bürgermeister Brugnaro, gegen den in anderer Sache Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts laufen, legte dem viertreichsten Menschen der Welt den roten Teppich zu Füßen. Der konnte in diesen Tagen mehr oder weniger tun, was er wollte. Da wurden Stadtteile kurzfristig abgeriegelt, Locations klammheimlich bereitgestellt und ausgewechselt, Polizei- und Sicherheitstruppen bereitgestellt. Das Verwirrspiel der Auftraggeber wurde mitgespielt, die Bevölkerung in die Irre geführt. Kurzum: Die Politik unterwirft sich dem Geld.
Doch Bezos Hochzeit ist bei weitem nicht das einzige Beispiel für den Kniefall vor dem Gold. Viel kleinere Inseln in der Lagune hat die Stadtregierung bereits an Private verkauft, die das gekaufte Areal entweder ungenützt dahinvegetieren lassen (z.B. Stefanel mit St. Andrea) oder darauf Hotels mit exklusivem Zugang nur für Gäste errichteten.
Lektion Nummer vier:
Alltagsleben der Einheimischen wird ständig eingeschränkt.
Anders als öffentlich versprochen, kam es durch die Hochzeitsfeierlichkeiten sehr wohl zu Störungen und Unterbrechungen bei den Vaporettis, auch ganze Stadteile wurden kurzfristig abgeriegelt. Die Einheimischen erlebten wieder einmal, was sie schon seit Jahren erleiden: Ihr Alltag wird zunehmend eingeschränkt, sie werden nicht einmal darüber informiert, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. So wie beim Verkauf der Inselchen, von denen sie ausgesperrt sind: Jetzt können mit ihren Booten nicht mehr dort hinrudern, um zu grillen, mit Familien und Freunden zu picknicken, zu singen oder ins Meer zu springen. So lief es auch mit der Biennale, die sich mittlerweile auf die halbe Stadt ausgedehnt hat und den Venezianern immer weniger Platz lässt. Kein Wunder, dass die echten Venezianer mittlerweile auf das Festland ausgewichen sind.
Lektion Nummer fünf:
Proteste mit Köpfchen wirkten.
Die Protestaktionen während der Bezos-Hochzeit in Venedig haben keinerlei Störungen im Alltag bewirkt. Ein paar Plakate hier, ein paar Bestrahlungen dort. Zwei Personen versuchten, auf die Säulen am Markusplatz zu klettern, einer davon wurde weggetragen. Geschickt haben die Protestierenden die internationale Aufmerksamkeit genützt, um ihre Botschaft in sachlichem Ton anzubringen: Wenn Bezos soviel für seine Hochzeit ausgeben kann, soll sein Konzern auch mehr Steuer zahlen. Keine Gewalt, keine spektakulären Aktionen. Köpfchen statt Kleben, lautete ihre erfolgreiche Devise.
Drei sofortige Erfolge haben die Protestierer bewirkt und die Party damit ein wenig crashen können: die angekündigten Luxusyachten durften doch nicht in die Stadt einfahren. Bezos erhöhte nach den Protesten seine Spende für Venezia von eins auf drei Millionen Euro. Und in letzter Minute musste der abschließende Maskenball auf das Werftgelände in das Arsenale verlegt werden. Begründet wurde dies durch Sicherheitsmaßnahmen. Fakt ist jedoch, das die ursprünglich geplante Location, die Grande Scuola della Misericordia vom persönlichen Umfeld des Bürgermeisters gemanagt sein soll, was kein gutes Licht auf diesen wirft.
Lektion Nummer sechs:
die Bewohner sind nicht ganz unbeteiligt.
Dass immer mehr Venezianer ins Festland flüchten, weil die Mieten enorm gestiegen und es immer mehr Hotels und Restaurants als Lebensmittelgeschäfte gibt, ist eine Tatsache. Daran sind die Venezianer auch selbst beteiligt, wenn sie immer öfter ihre Wohnungen via airbnbanbieten oder sie gar an Leute verkaufen, die nur ein paar Monate hier leben. Wer mit offenen Augen durch die Stadt bummelt, kann die vielen angepickten Hinweise auf airbnb und viele nicht-italienisch-klingende Namen nicht übersehen. Warum wählen die Venezianer Politiker nicht ab, die den Interessen der Einwohner offensichtlich zuwider handeln und ihren Lebensraum einschränken?