OGH-zu Ischgl: Behördenfehler gar nicht überprüft

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Der sportliche Ex-Chefredakteur der „Die Furche“, Hannes Schopf, reiste am 7.März 2020 zum Skifahren nach Ischgl, fuhr am 13. März 2020 im überfüllten Bus vorzeitig zurück, nachdem Ex-Kanzler Kurz die sofortige Quarantäne ausgerufen hatte. Vier Tage später, am 17. März, wurde bei ihm Covid nachgewiesen und am 10. April starb der 72-Jährige.

Die schockierte Familie klagte mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) die Republik Österreich auf Amtshaftung. Witwe und Sohn hofften auf Gerechtigkeit – ganz im Sinne des so tragisch Verstorbenen, der zeitlebens für demokratische Werte wie diesen gekämpft hatte. Den allenfalls erstrittenen Schadenersatz wollte man spenden. 

Soeben veröffentlichte (am 25. Juli 2023) der Oberste Gerichtshof (OGH) sein im Juni (27.Juni 2023) gefälltes Urteilhttps://www.lydianinz.at/wp-content/uploads/2023/08/Ischgl_AH_OGH-vom-15-Mai-2023.pdf

In seinem Urteil lehnte der OGH Schadenersatz ab: das alte Epidemiegesetz, das bis März 2020 galt, beschränkt sich darauf, die Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern. Es ist kein Schutzgesetz, aus dem betroffene Menschen eine individuelle Haftung des Staates ableiten können. Daher kann es laut OGH im vorliegenden Fall grundsätzlich gar keine Amtshaftung geben. Im Klartext: die Höchstrichter haben eine Amtshaftung schon aus rein formaljuristischen Gründen in Bausch und Bogen abgelehnt. Der OGH hat daher – wie er auf Seite 10 des Urteils (Ob 219/22w) ausdrücklich festhält – inhaltlich gar nicht überprüft, ob eine schuldhafte Pflichtverletzung seitens der Behörden vorlag.

Dieses Urteil kann daher nicht dazu herangezogen werden, die involvierten Behörden weiß zu waschen für die zahlreichen Fehler, Versäumnisse, Pannen und nachweisliche Falschinformationen, die passiert sind. Auch Tirol kann daraus nicht den Schluss ziehen „wir haben alles richtig gemacht“. Wie könnte man auch etwas exkulpieren, was gar nicht untersucht wurde?

Schaut man sich dieses und bisherige OGH-Urteile zur Causa Ischgl genauer an (nicht nur der Fall Schopf wurde vom OGH beurteilt, sondern auch noch andere), stößt man auf echte Falschinformationen und spannende Neuigkeiten, die neue Zweifel am Urteil aufkommen lassen. Aber der Reihe nach.

Echte Falschinformation:

Am Donnerstag 5. März, zwei Tage vor Anreise des Herrn Schopf nach Ischgl, gab es laut OGH im Bezirk Landeck „abgesehen von den bereits abgereisten Isländern“ erst sieben Verdachtsfälle von Covid 19, von denen keiner bestätigt war. Falsch! Wahr ist vielmehr, dass es an diesem Donnerstag sehr wohl einen amtlich bestätigten Covid-Fall in diesem Bezirk gegeben hat: einen norwegischen Studenten in Pettneu am Arlberg. Und dieser Ort gehört zum Bezirk Landeck. Die Tiroler Landesregierung  hatte darüber an diesem Donnerstag zu Mittag mit einer Presseaussendung informiert.

Allerdings hatte man dabei unter den Tisch fallen lassen, dass dieser erkrankte Student in Ischgl gewesen war. Man hatte vielmehr extra darauf verwiesen, dass er aus Italien gekommen war und so den Eindruck erwecken wollen, er sei in Italien angesteckt worden. Da der Amtsarzt von Landeck diesen Studenten höchst persönlich untersucht hatte (siehe dazu Ischgl-Das Tagebuch) , ist davon auszugehen, dass die Bezirkshauptmannschaft in Landeck wissen musste, dass der Student zuvor in Ischgl gewesen ist.

Aus meiner Sicht ist es mehr als aufklärungsbedürftig, wie der OGH zu dieser völlig falschen Annahme kommen konnte, obwohl dieser Covid-Fall amtlich dokumentiert war. Ebenso wusste die Behörde in Landeck bereits an diesem Donnerstag, dass 14 Isländer nach einem Ischgl-Aufenthalt an Covid erkrankt waren und es zwei davon bereits in Ischgl gewesen waren, – noch vor ihrer Abreise! In der falschen und irreführenden Presseaussendung des Landes Tirol über die Isländer fehlte nicht nur jeder Hinweis auf diese zwei schon in Ischgl Erkrankten. Wider besseren Wissens gaukelten die Tiroler der Welt vor, dass es „aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich“ sei, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen sei“. Begründet wurde dies mit der falschen These, dass sich die  Isländer vermutlich am Heimflug angesteckt hätten. Eine These, von der alle Beteiligten vor Aussendung der Presseinformation wussten, dass sie falsch war, auch weil die Isländer in verschiedenen Fliegern nach Hause geflogen waren.

Spannende Neuigkeiten:

Aus den OGH-Urteilen geht hervor, dass die Landessanitätsdirektion in Innsbruck bereits am Freitag 6. März wusste, dass drei weitere covidkranke norwegische Studenten in Ischgl gewesen sind, die in Innsbruck lebten. Der berühmt gewordene Kitzloch Kellner wurde zweimal getestet, bereits an diesem Freitag und nicht erst am Samstag 7. März, wie bisher stets mitgeteilt wurde. Der Kitzloch-Kellner war also nicht das erste Covid-Opfer in Ischgl vor Ort, sondern das fünfte! Das Kitzloch hätte am drauffolgenden Samstag gar nicht mehr geöffnet werden dürfen, wenn der Kellner als Covid-Fall schon am Freitag feststand! Zum Vergleich: in Innsbruck hatte man am 25. Februar wegen einer covidkranken italienischen Hotelangestellten gleich das ganze Hotel Europa geschlossen und am 23. Februar wegen zwei Verdachtsfälle ein ganzer Zug aus Italien am Brenner stundenlang gestoppt! In Ischgl passierte nichts, obwohl fünf aktuelle Covid-Fälle auf diesen Ort zurückzuführen waren und die Bezirkshauptmannschaft Landeck bereits offiziell darüber informiert worden war, dass 14 Isländer nach einem Ischgl-Aufenthalt erkrankt waren, von denen 10 eine Woche davor im Kitzloch gefeiert hatten.

Neue Zweifel am Urteil:

Fassen wir zusammen: Am Freitag, 6. März, einen Tag vor Anreise des Herrn Schopf, gab es in Zusammenhang mit Ischgl 14 abgereiste isländische Covid-Kranke (davon zwei schon in Ischgl erkrankt), den norwegischen Covid-erkrankten Studenten aus Pettneu (plus drei Verdachtsfälle, die auf engstem Raum mit ihm lebten), die drei norwegischen Covid-erkrankten Studenten aus Innsbruck plus den erkrankten Kitzloch-Kellner. Macht zusammen 19 Covid-Fälle, davon fünf aktuelle und 14 abgereiste.

Laut OGH ging es beim alten Epidemie-Gesetz ja vorrangig darum, die Ausbreitung einer ansteckenden und anzeigepflichtigen Krankheit zu verhindern. Richtig? Wenn dem so ist, muss es für die Beurteilung der Höchstrichter schon eine Rolle spielen, dass auf einen einzigen Ort bereits 19 Covid-Fälle zurückzuführen sind -davon 5 aktuelle! Müsste man bei Berücksichtigung der wahren Sachlage nicht zu einem ganz anderen Urteil kommen, wenn es das Ziel des Gesetzes ist, die Quelle der Epidemie festzustellen und einzugrenzen? Hätten die Behörden nicht sofort reagieren müssen, zumal am darauffolgenden Samstag der übliche Urlauberschichtwechsel bevorstand und Ischgl – gemessen an den damals 66-Covid Fällen für ganz Österreich – schon als ein ziemlicher Hotspot feststand?.