Hersteller wussten schon 2006, dass Abschalteinrichtungen illegal sind

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Audi, VW, Daimler und BWW wussten nachweislich schon 2006, dass Abschalteinrichtungen illegal sind, die bei Dieselautos die Abgasreinigung auf der Straße reduzieren und auf dem Prüfstand voll funktionieren. Die Zulieferfirma Bosch hatte ihnen schon damals 44 verschiedene Varianten von Betrugssoftware detailliert aufgelistet und auf das Rechtsrisiko hingewiesen. Das belegen interne Protokolle, die der deutschen Umwelthilfe (DUH) zugespielt und heute in einer Pressekonferenz vorgelegt wurden. „Sie wussten ganz genau, dass sie mit dem bewussten Ausschalten einer funktionierenden Abgasreinigung ein rechtlich verbotenes Verhalten eingehen“, betonte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch „Das war ein ganz klar angelegter Betrug“ bekräftigt Dr. Axel Friedrich, der maßgebende Technik-Doyen bei der Aufdeckung des Abgasskandals.

Dr. Axel Friedrich

Dr. Friedrich und Resch kritisierten massiv, dass diese Protokolle nicht veröffentlicht wurden, obwohl sie seit 2015 den Kartellbehörden bekannt gewesen sind und eine Veröffentlichung den betrogenen Käufern vor Gericht sehr geholfen hätte. Dr. Friedrich: „Wenn ein Fehlverhalten festgestellt wird, muss es auch offen gelegt werden für alle.“ Resch tritt dafür ein, dass Behörden in solchen Fällen stets die Betrogenen zu informieren hätten, „damit sie nicht zweimal betrogen werden.“

Rückblende

Die deutsche Kartellbehörde hat VW, Audi, Porsche und BMW zu einer 875 Millionen Euro schweren Kartellstrafe verurteilt (502 Mio VW Konzern und 373 Mio BWW), weil sie die Tanks für Harnstoff (mit denen Abgase gereinigt werden) bewußt zu klein gestaltet hatten. In der Folge hat man die eigentlich benötigte Dosierung von Harnstoff von 5% auf 1% gesenkt, sodass die Abgasreinigung für Stickoxid (NOX) auf der Straße ihre reinigende Wirkung nicht entfalten konnte, die Luft massiv belastete und Menschen und Umwelt gefährdete. Bosch hat die Abschalteinrichtungen zwar gebaut, die rechtliche Verantwortung für den Einbau jedoch an die Hersteller zurückdelegiert. Nicht nur Bosch, sondern auch andere Zulieferer wie Conti und Delfi haben solche Konstrukte geliefert für weitere Autohersteller wie Fiat, Opel, Toyota, PSA, Renault, Hyundai, so die DUH.

Die „rechtliche“ Bombe in diesen internen Protokollen besteht laut DUH-Geschäftsführer Resch darin, dass Bosch schon damals mehrfach und explizit darauf hingewiesen habe, dass die Abgasabschaltungen „über den Bauteileschutz hinausgehen“, d. h. zum Schutz des Motors gar nicht notwendig waren. Damit wird ein weiteres Argument der Autobauer zertrümmert, die vor Gerichten stets damit argumentiert hatten, dass diese Abschalteinrichtungen zum Schutze der Motor-Bauteile notwendig gewesen wären.

Aus den internen Protokollen ist auch ersichtlich, wie akribisch diese Abschalteinrichtungen versteckt wurden, etwa unter der irreführenden Bezeichnung „Akkustikfunktion“.

Die brisanten Unterlagen lösen auch das Rätsel, warum der viel zu hohe Abgas (Stickoxid, NOX) nicht vom Kontrollsystem der Autos, der On Bord Diagnose (OBD) angezeigt wurde. Dieses System ist dazu da, auftretende Fehler des Autos anzuzeigen, etwa wenn es an Öl oder Sprit fehlt. Laut diesen Unterlagen wurde auch das OBD der Betrugsdiesel bewußt manipuliert.

Die DUH will die Unterlagen nun auch dem Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein vorlegen, das am 20. Februar 2023 darüber entscheiden muss, ob die Abschalteinrichtung in einem Golf illegal war und das Kraftfahrt-Bundesamt die Typgenehmigung dafür entziehen muss. Die DUH hat gegen 119 weitere KBA-Zulassungen über 5 Millionen Dieselautos allein in Deutschland geklagt. Es handelt sich um jene Dieselautos, die in Deutschland gesetzlich oder freiwillig zurückgerufen worden waren und die ursprünglich 11 Millionen umfassten. Inzwischen ist mehr als die Hälfte dieser Autos vom Markt verschwunden. Nach Ansicht der DUH bleibt dem Verwaltungsgericht Schleswig keine Wahl, als die Software-Updates (aber auch Erstzulassungen) dieser Autos für illegal zu erklären. In der Folge müssten die Hersteller die Autos entweder auf eigenen Kosten mit einer Nachrüstung ausstatten oder sie verschrotten und den Besitzern “vollen” Schadenersatz leisten. Die DUH setzt Hoffnungen auf die Ampelkoalition und deren Verkehrsminister, der schon vor dem Februar eine politische Entscheidung treffen könnte.

Die DUH ist überzeugt, dass sie mit den vorliegenden Dokumenten (“rauchender Colt”) auch die Schadenersatzklagen anderen Autobesitzer befeuern kann. Der Bundesgerichtshof (BGH) wird seine bisherige Einstufung, wonach temperaturgesteuerte Abgasreinigung nicht gegen Gesetze verstoßen korrigieren müssen, so Dr. Friedrich.

Auswirkungen auf andere Staaten in Europa, in denen die vom KBA genehmigten Software-Updates ebenfalls durchgeführt wurden, so wie in Österreich, sind schwer abzuschätzen. Eigentlich müssten auch diese Autos für illegal erklärt werden. Allerdings müsse man die jeweilige Rechtsordnung der Mitgliedsländer beachten.