Hälfte der Lkw mit zuviel Stickoxid

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In den letzten eineinhalb Jahren wurden 545 Lkw-Messungen auf Autobahnen in Deutschland, Österreich, Polen, Frankreich und Slowakei durchgeführt, teilweise mit Hilfe der Polizei. Das alarmierende Ergebnis: Rund die Hälfte der 545 untersuchten Lkw der Abgasstufen Euro 5 und 6 stießen im Realbetrieb mehr gesundheitsschädliche Stickoxide (NOx) aus als gesetzlich erlaubt. Selbst wenn man weitere Toleranzen einberechnet, um mögliche äußere Einflüsse definitiv auszuschließen, überschreiten noch mehr als ein Drittel (Euro 6) bzw. fast die Hälfte (Euro 5) der Fahrzeuge die Schwellenwerte. Auffällig ist zudem, dass einige Dutzend gemessene Lkw besonders dramatische Überschreitungen aufwiesen.

Euro 5 Lkw stießen demnach im Schnitt 3.338 mg NOX/kwh aus. Nur 37 Prozent der untersuchten Euro 5-Lkw hielten den gesetzlichen Grenzwert von 2.000 mg/kwh und nur 56 Prozent den tolerierten Schwellenwert von 2.600 mg NOX/kwh ein. Euro 6 Lkw stießen im Schnitt 1.067 mg NOX/kwh aus. Nur 46% der untersuchten Euro 6-Lkw hielten den gesetzlichen Grenzwert von 690 mg/kwh und nur 66% den tolerierten Schwellenwert von 1.000 mg NOX/kwh ein.

Worauf in der Pressekonferenz nicht extra hingewiesen wurde und worauf ich hinweisen möchte, ist die Tatsache, dass solche Lkw bei der Berechnung der Autobahnmauten in Österreich als „umweltfreundlich“ eingestuft sind und daher weniger Maut zahlen müssen als andere LkW. Daher ist das ein doppelter Betrug, bei dem die Firmen doppelt sparen: sie benötigen weniger Harnzusatzstoff („AdBlue“) und kommen auch noch mit einem günstigeren Mauttarif davon. Bei soviel gefahrenen Kilometern kommt da schon einiges zusammen!

Ursache für die massenhaften deutlichen Überschreitungen können aus Sicht der DUH und des deutschen Verbands Camion Pro e.V. nur Fahrlässigkeit oder krimineller Vorsatz sein: Entweder sind die Abgasreinigungssysteme defekt oder aber die Fahrzeughalter haben illegale Abschalteinrichtungen installiert, die die Funktion der Katalysatoren drastisch verringern, indem sie die Zufuhr des erforderlichen Harnstoffes verringern bis ganz abstellen.

Diesmal geht es also nicht um Manipulationen durch die Hersteller der Fahrzeuge. Diesmal sind es die Betreiber der Fahrzeuge (Frächter?), die durch Manipulationen der Software die Abgasreinigung der Fahrzeuge drossseln. Möglich wird das durch relativ einfache Geräte, die im Internet für wenig Geld zu haben sind und die – in der Software installiert – dem Lkw Bedingungen vorspiegeln, unter denen die Abgasreinigung üblicherweise ausgeschaltet bzw. reduziert wird, erklärt Dr. Friedrich in der DUH-Pressekonferenz. Das erspart den Transportfirmen die Beimengung des Harnzusatzstoffs AdBlue und damit viel Geld.

Um den Betrügern auf die Schliche zu kommen, ist es nötig, sich die Software genauer anzuschauen, es genügt nicht wie früher, nach zusätzlich installierten, sichtbaren Kästchen Ausschau zu halten“, so Dr. Friedrich. In der Pressekonferenz wies Andreas Mossyrsch, Vorstand Camion Pro e. V. Deutschland, darauf hin, dass die Behörden in Vergangenheit den realen Ausstoß der LKW – wenn überhaupt-  auch noch mit völlig untauglichen Instrumenten gemessen haben, die technisch nicht in der Lage gewesen wären, Software-Manipulationen zu entdecken.
Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Dänemark etwa ist da weiter als wir. Im Auftrag der Behörden wurden hier Messungen an mehreren Hundert Fahrzeugen unternommen, in Zusammenarbeit mit der Uni Heidelberg. Im Nachgang bestellten die Behörden mehrere Messgeräte, um sie nun zum Einsatz zu bringen.“

Die von der DUH verwendete Technik könne auch von deutschen Behörden einfach und sofort zur Kontrolle der Fahrzeuge verwendet werden, so Axel Friedrich: „Die Messmethode ist ausgereift und in Vergleichsmessungen mit PEMS (Portable Emission Measurement System) validiert.“

Die neuesten Untersuchungen belegen nicht zum ersten Mal das Versagen deutscher Behörden beim Schutz der Bevölkerung für Stickoxiden von Lkw. Bereits im Mai 2019 hatte das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg im Auftrag der DUH die NOx-Emissionen von Lkw im realen Betrieb ermittelt. Die Aktion erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Verband für die Transportbranche Camion Pro e.V. Die dramatischen Ergebnisse wurden im Juli 2019 an das BMVI übermittelt. Schon damals hatten die DUH und Camion Pro e.V. effektive Kontrollen sowie wirksame Sanktionen hinsichtlich sogenannter „AdBlue-Emulatoren“ bei Lkw gefordert, welche die Zufuhr des für die Abgasreinigung wichtigen Harnstoffs drosseln. Ab Anfang 2020 führte die DUH dann eigene Messungen an Lkw im Realbetrieb durch. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2020 erneut mit den oben genannten Forderungen an das BMVI und ergänzend an das BAG übermittelt. Camion Pro e.V. zufolge weiß das BAG schon seit 2017 über das Problem Bescheid – insbesondere im Hinblick auf die Manipulation von Lkw-Abgasanlagen durch Emulatoren. Die Behörde hat aber bislang kaum wirksame Schritte unternommen, um die Situation auf den Straßen zu verbessern.

Dazu Andreas Mossyrsch, Vorstand Camion Pro e. V. Deutschland: „Das BAG wurde seit 2017 von mir über die redaktionellen und wissenschaftlichen Studien und Erkenntnisse zu dem Thema informiert. Schon damals beauftragte mein Verband das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg mit Messungen manipulierter Lkw. Die Ergebnisse waren alarmierend. Das BAG wurde informiert, aber unternahm kaum etwas und spielte den Skandal sogar herunter. Meinem Verband liegen Unterlagen vor, die nahelegen, dass das BAG zu dem Skandal bewusst irreführende Daten veröffentlichte. Somit hat die Behörde nicht nur einen ausgewachsenen Abgasskandal verschlafen sowie wirksame Kontrollen verhindert, sondern auch kriminellen Akteuren jahrelang den Rücken freigehalten.“

Die DUH hat ihre Messungen mit einer portablen NOx-Messapparatur durchgeführt. Mit dem sogenannten Plume Chasing Verfahren werden mit einem Messgerät in einem nachfahrenden Fahrzeug die Emissionen des voranfahrenden Fahrzeuges erfasst. Für die hier untersuchten Lkw gelten die NOx-Grenzwerte für Euro 5 von 2.000 mg NOx/kWh nach dem European Transient Cycle (ETC), beziehungsweise für Euro 6 von 460 mg NOx/kWh nach dem Worldwide Harmonized Transient Cycle (WHTC). Da die Motoren auf dem Prüfstand vermessen werden, hat der Gesetzgeber für die Überprüfung der Euro 6 Fahrzeuge auf der Straße auf den NOx-Grenzwert einen „Konformitätsfaktor“ von 1,5 aufgeschlagen, so dass sie auf der Straße 690 mg NOx/kWh emittieren dürfen. Zusätzlich wurde bei der Bewertung der hier erhobenen Daten ein Fehlerfaktor von 1,4 auf die jeweiligen NOx-Grenzwerte aufgeschlagen. Dieser ergibt sich aus einer Messungenauigkeit und weiteren Einflüssen, die bei Wiederholungsmessungen maximal festgestellt werden konnten. Insgesamt bewertet die DUH die Messergebnisse also auf Basis eines NOx-Schwellenwerts von 2.800 mg/kWh für Euro 5 und für die Euro 6 aufgerundet eines NOx-Schwellenwertes von 1.000 mg/kWh, ab dem die Lkw als verdächtig eingestuft werden.