Dieselskandal legt Lücken offen

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Sechs markante Entwicklungen prägen das Jahr 6.0 des Dieselskandals: Erstens brachte der 17. Dezember 2020 den endgültigen Durchbruch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das glasklare Urteil der Höchstrichter:  Jede Art von Abschalteinrichtung ist verboten, die auf der Straße die Abgasreinigung der Autos reduziert – selbstverständlich auch in Europa und nicht nur in den USA. Gleichzeitig fegte der EuGH die bisherigen Ausreden der Autokonzerne vom Tisch, dass solche Abschalteinrichtungen zum Schutz des Motors ausnahmsweise erlaubt seien.

Doch dieses Urteil ist – zweitens – bei Gerichten in EU-Staaten wie Österreich  ebenso wenig angekommen wie das wegeweisende Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) von Mai 2020. Dieser hatte zweifelsfrei festgestellt, dass VW seine Kunden arglistig und vorsätzlich getäuscht hat und ihnen deswegen Schadenersatz zusteht. Trotzdem hängen in Österreich die 2018 eingebrachten Sammelklagen des Verein für Konsumenteninformation (VKI) noch immer in der Warteschleife. Dabei sind es haargenau dieselben Passats, Golfs, Audis, Tiguans, die der Konzern in Österreich von 2009 bis 2015 angedreht hat.

Drittens. Für VW sind Kläger aus Österreich Kunden zweiter Klasse. Beispiele gefällig? In Deutschland wurden 245.000 Sammelklägern über einen Vergleich immerhin 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises gezahlt. Die österreichischen Teilnehmer an derselben Musterfeststellungsklage hat VW ausgegrenzt und den 10.000 VKI-Sammelklägern  bis dato kein einziges Vergleichsangebot gemacht. Zur Erinnerung: für Vergleiche und Strafzahlungen für 600.000 US-Kunden legte der milliardenschwere VW-Konzern schon vor fünf Jahren 26 Milliarden Dollar auf den Tisch!

Viertens. Die Ungleichbehandlung heimischer Kunden setzt sich auch bei den individuellen Klagen in Deutschland fort. Statt – wie nach dem BGH-Urteil angekündigt – alle in Deutschland anhängigen Einzelklagen rasch mit Vergleichen zu beenden, ließ der Konzern ausgerechnet die österreichischen Kläger wieder zappeln. Und zwar jene 500 Österreicher, die ihn mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) und eines Prozessfinanzierers in Deutschland individuell geklagt hatten, nachdem sie beim Sammelvergleich abgeschmettert worden waren. Zwar mündeten rund 40 Klagen zunächst in einem Vergleich, mit teils sogar mit beachtlichen Beträgen. Doch dann legte der Konzern den Schalter um und saß die Verfahren aus, die bisher stets zugunsten der Kläger endeten. In einigen Fällen hat VW tatsächlich gezahlt – etwa 9.000 Euro für einen Fall im Burgenland, 6.000 Euro für einen Diesler in Kärnten. Doch neuerdings legt VW sogar gegen Urteile Berufung ein, die – rechtlich gesehen – g’mahnte Wiesen sind.

Fünftens. Ein Ende des Abgasskandals ist nicht in Sicht. Spätestens mit dem EuGH-Urteil, den Kartellstrafen und dem aktuellen Schlusstrag des EuGH-Generalanwaltes, dass  auch “Thermofenster” illegal sind, hat der Skandal definitiv auch andere Autokonzerne wie Daimler-Mercedes, Renault, Chrysler-Fiat, BMW erfasst. Gegen Daimler-Mercedes startet in Kürze eine  deutsche Musterfeststellungsklage. Auch österreichischen Mercedes-Fahrer können selber oder mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins daran teilnehmen und damit verhindern, dass ihre Ansprüche verfallen. Auch für VW es nicht  ausgestanden: in Deutschland gibt es schon erste gewonnene Klagen wegen der „neueren“ Dieselautos mit dem EA 288 Motor, die bis Mai 2016 gebaut wurden. In Österreich gibt es zudem rund 4.000 Dieselkäufer, die sich im Jahr 2016  beim VKI als Privatbeteiligte im Strafverfahren gegen Winterkorn und Co. angeschlossen hatten, dann aber nicht bei der Sammelklage mitmachten. Ihre Ansprüche sind nicht verjährt, solange die Staatsanwaltschaft in Österreich ermittelt. Sie können daher noch individuell klagen, entweder mit eigenem Anwalt oder kosten- und risikofrei mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) und eines Prozessfinanzierers.

Sechstens flog auf, wie sehr es VW von Anfang an drauf angelegt hatte, Kunden und Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Amtliche Dokumente beweisen, dass die deutsche Zulassungsbehörde schon im Oktober 2015 diese Abschalteinrichtungen beim EA 189-Motor eindeutig für unzulässig erklärt hatte und auch das deutsche Verkehrsministerium davon wusste. Trotzdem schauten beide tatenlos zu, wie die VW Anwälte vor Gericht das genaue Gegenteil auftischten.

Die Moral von der Geschichte? Wer nicht klagt, verliert. Es ist die einzige Sprache, die solche Konzerne verstehen. Es braucht unabhängige und grenzüberschreitend agierende Verbraucherschutzorganisationen mit effizienten Instrumenten wie Verbandsklagmöglichkeiten. Der Rechtsstaat funktioniert zwar, aber viel zu holprig, sodass die Täter gewinnen. Völlig auf der Strecke bleiben Gesundheit und Umwelt. 34.000 Tonnen Stickstoff jagen alle manipulierten Diesler zusätzlich in Österreich in die Luft. Jährlich.

Lydia Ninz ist Wirtschaftsjournalistin mit eigenem Blog über den Abgasskandal. Mit Peter Kolba hat sie das Buch „Diesel-Schäden. Wie Sie sich zur Wehr setzen können!“ geschrieben.