VW wie Wirecard: Millionen Geschädigte bleiben auf der Strecke

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Als vor fünfeinhalb Jahren der VW Dieselskandal aufflog, konnte man gar nicht glauben, dass so ein großer, angesehener deutscher Konzern Millionen Diesel-Käufer jahrzehntelang betrogen hat. Wie die Doku über Wirecard eindrucksvoll zeigt, hielt es niemand für denkbar, dass die Erfolgsstory dieses strahlenden Stars am DAX-Himmel auf lauter Lügen beruhte.

Hier wie da haben alle zuständigen Kontrollinstanzen total versagt. VW ist es in den USA gelungen, die Umweltbehörde EPA jahrelang an der Nase herumzuführen. Die Herren aus Wolfsburg „druckten“ dieser Behörde solange ihre technischen „Gschichtn“ auf‘s Aug, bis das Lügengebäude zusammenbrach. Wirecard schaffte es jahrzehntelang erfolgreich, Steuer- und Wirtschaftsberatern, Bilanzprüfern und der Börsenaufsicht Umsätze vorzugaukeln, die es gar nicht gab. Inwieweit Bestechung im Spiel war, wird sich noch weisen.

Bei V wie VW, bei W wie Wirecard spielten Whistleblower eine wichtige Aufdecker-Rolle. Nur wurden sie nicht gehört. Bei VW war es die deutsche Umwelthilfe (DUH) mit Technik-Doyen Dr. Axel Friedrich, die seit 2006 unermüdlich mit eigenen Messungen nachwiesen, dass es bei den Abgaswerten für Dieselautos nicht mit rechten Dingen zugehen konnte, nicht nur bei VW. Sie wussten aus internen Dokumenten, die ihnen Whistleblower zugespielt hatten, dass die eingebauten Abgasreinigungen technisch gar nicht in der Lage waren, die vorgeschriebenen Grenzwerte auch nur annähernd einzuhalten. Doch keine Behörde reagierte auf die Messergebnisse der DUH, auch nicht die Politik.

Bei Wirecard waren es ehemalige Mitarbeiter, die anfingen, Fragen zu stellen und deswegen gefeuert wurden. Ausgerechnet jener Mann, der für die Einhaltung von Compliance-Regeln zuständig war, fand intern kein Gehör und wandte sich als Whistleblower an die Behörden. Obwohl er seine Behauptungen mit genauen Dokumenten belegte, geschah ….„nichts“! Wie bei VW, wo 550 Mitarbeiter dafür zuständig sind, waren die entsprechenden Compliance-Regeln für die Katz.

Hier wie da, kamen die Medien ins Spiel. Bei Wirecard waren es nur wenige Medien, die den Fall ins Rollen brachten und an der Story dranblieben. Eine Investigativ-Journalistin wurde von der verzweifelten Mutter des Wistleblowers kontaktiert und an die Redaktion der Financial Times weitergereicht. Nach mehreren Monaten erscheint ein Bericht. Der erhoffte Durchbruch kam dennoch nicht. Auch bei VW waren es immer wieder eine Handvoll Medien, die vertiefend berichteten, mit neuen Details aufwarteten und dafür sorgten, dass die Story nicht in Vergessenheit geriet.

Hier wie da haben die Angegriffenen mit Desinformationen gegengesteuert, die – und das ist wichtig! – auf den ersten Blick nicht unplausibel erschienen. Das ging leicht, weil sie damit rechnen konnten, dass viele Menschen die komplizierten Zusammenhänge ohnehin nicht durchschauen, die technisch-rechtlichen bei VW und die wirtschaftlich-finanziellen bei Wirecard. So behauptete VW allen Ernstes, jene Abschalteinrichtungen, für die er in den USA Milliarden Dollar Strafe zahlte, seien in Europa gar nicht verboten. Ein völliger Nonsens. VW bestritt, dass die „Abgasreinigungsrückführung“ überhaupt ein Teil des Emissionskontrollsystems sei. Eine völlig falsche Behauptung. Vor Gericht gelang es VW zunächst  sogar, den Spieß umzudrehen: nicht die Täter (VW) mussten technische System offenlegen, um die Vorwürfe zu entkräften. Sondern die Opfer wurden nach ihrer Umweltgesinnung gefragt, also wie wichtig ihnen ein sauberes Auto beim Kauf gewesen sei. Nach diesem Motto könnte man einen Uhrendieb nur dann verurteilen, wenn der Bestohlene beweist, wie wichtig ihm die Uhr gewesen ist.

Bei Wirecard gelang es den eiskalten Machtprofis an der Spitze zunächst, aufkeimende Zweifel mit großem PR-Getöse und dreisten Lügen weg zu wischen und – mit viel Geld- interne Aufdecker aufzuspüren und eiskalt zu entfernen, wie die Doku zeigte.

Es ist zu hoffen, dass die Mühlen der Justiz im Falle Wirecard nicht so langsam und so holprig mahlen wie bei VW. Die Zeit spielt den Tätern in die Hände, je länger Gerichtsverfahren dauern, desto mehr verlieren die Opfer, deren Schadenersatz dahinschmilzt. Obwohl der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) vor genau einem Jahr eindeutig geurteilt hat, das VW seine Kunden „sittenwidrig und arglistig geschädigt“ hat und daher zu Schadenersatz verpflichtet ist, sind immer noch Tausende VW Klagen vor deutschen und österreichischen Gerichten anhängig. VW spielt weiter auf Zeit: Für jeden Kilometer, den man mit einem Betrugsauto weiterfährt, darf VW ein Nutzungsgeld kassieren. Je mehr Kilometer es sind, desto weniger bleibt vom erstrittenen Schadenersatz übrig.

Mit Fällen a la VW und Wirecard ist leider auch in Zukunft vermehrt zu rechnen. Skrupellose Geldjäger schrecken nicht davor zurück, zahlenden Kunden gesundheitsgefährdende Produkte anzudrehen wie z.B. Verhütungsspiralen mit lebenslangen Schäden (Eugine) oder Kapitalanlagen mit garantierten Höchstzins, die plötzlich einseitig wegfallen.

Drei wichtige Sofortmaßnahmen sind nach den Erfahrungen mit VW und Wirecard sicher zu stellen. Erstens: Gegen international agierende Betrüger muss man konzertiert, organisiert und weltweit vorgehen. Dazu braucht es völlig unabhängige Schutzorganisationen, die die Interessen betrogener Verbraucher und Anleger auch tatsächlich vertreten, wie im Falle von VW den Verbraucherschutzverein (VSV) in Österreich oder die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in Deutschland. Zweitens: Ohne Klagen geht es nicht. Dafür braucht es geeignete rechtliche Instrumente, wie effiziente Sammelklagen und Klagsrechte für Verbraucherschutzorganisationen. Drittens ist dringend dafür zu sorgen, dass jene Institutionen, die für Kontrollen und Aufsichten zuständig sind, auch das tun, wofür sie geschaffen wurden: Sie brauchen die nötige Ausstattung, aber Nichtstun und Wegschauen darf einfach nicht sein.

Mag. Lydia Ninz

Wirtschaftsjournalistin mit eigenem Blog (www.lydianinz.at) und im Verbraucherschutzverein (VSV) zuständig für Medienarbeit