Abgasskandal: Klagen – was sonst?

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Das abgelaufene Jahr  brachte den Käufern manipulierter Diesel-Pkw den Durchbruch vor Gericht –  nach einer langen vierjährigen Durststrecke. Immer mehr Gerichte in Österreich, aber insbesondere auch in Deutschland (z.B. Landesgerichte Berlin, Köln, Heidelberg, Offenburg, Düsseldorf, Flensburg, Stuttgart, Koblenz) und Oberlandesgerichte (wie OLG Karlsruhe, OLG Oldenburg, OLG Stuttgart) verurteilen den VW Konzern wegen „vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung“. Das genügt, um von VW den Rückkauf der Autos durchsetzen zu können. Endlich fragen die Richter nicht mehr nach der „grünen“ Gesinnung der Käufer, sondern erkennen den Betrug durch den Konzern.  Speziell seit dem Sommer 2019 entscheiden deutsche Gerichte wie „ am Fließband gegen VW“ (Zitat Rechtsanwalts-kanzleien Kanzlei Dr. Stoll/Sauer). Das hat sich gegen Jahresende noch intensiviert. 96 von 115 Landesgerichten und 20 von 24 Oberlandesgerichte verurteilen laut dem Regensburger Jura-Professor Michael Heese die Konzerne.

Eingeleitet wurde diese erfreuliche Wende gleich zu Jahresbeginn, durch den sogenanntes „Hinweis-Beschluss “ des  deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) vom 22. Februar 2019. Dort wurde  festgestellt, dass durch die Manipulation von vornherein ein Mangel (Grundmangel) gegeben sei, sodass diese Autos niemals hätten zugelassen werden können. Diese Gefahr, die Zulassung zu verlieren, schwebe nach wie vor über ihnen, auch nach dem Software-Update. Diesem Fingerzeig des BGH, wonach es sich um eine strafrechtliche Verfehlung nach Paragraph 826 BGB handle, sind viele Gerichte gefolgt.

In der Folge hat der VW Konzern seine Taktik geändert und schafft die strittigen Verfahren vom Tisch, bevor er sie verliert oder bevor sie zu Höchstgerichten wandern. Der Hebel sind außergerichtliche Vergleiche, die für die Kläger meist so attraktiv sind, dass sie ihm zustimmen. Da über all dem der Mantel des Schweigens gebreitet wird und die siegreichen Kläger und ihre Anwälte zur Geheimhaltung verpflichtet werden, kennt man weder die Zahl der Vergleiche noch den Inhalt. Diese Verfahren sind nicht mehr anhängig. Sie verschwinden von der Bildfläche, scheinen in der Statistik nicht mehr auf und helfen dem Konzern, seine offizielle Klag-Bilanz zu schönen. Ein Beispiel für die Vergleichspolitik ist der außergerichtliche Vergleich mit der Republik Österreich für Polizeiautos, die – Medien wie dem STANDARD sei dank, dennoch publik wurden.

Insider und Rechtsanwälte in Deutschland gehen inzwischen davon aus, dass man mit individuellen Klagen besser aussteigt als mit Sammelklagen. Aus diesem Grund vermittelt der Verbraucherschutzverein (VSV) österreichischen VW Opfern die Chance, individuell und direkt in Deutschland zu klagen. Wegen Einschaltung von  Prozessfinanzierern ist das Ganze risiko- und kostenlos, wobei sich der Prozessfinanzierer 25 bis 35 % des Erstrittenen als Erfolgstangente einbehält.

Da sich der Dieselskandal 2019 ja weiter ausgeweitet hat, gibt es genug Stoff für Klagen in den kommenden Jahren, auch wenn mit Jahresende 2019 für jene Diesel-Pkw die Ansprüche verfallen sind, die 2015 aufgeflogen und 2016 zurückgerufen wurden, also für die meisten Mittelklasse-Autos der Abgasnorm Euro 5.

Klag-Chancen gibt es für alle, die erst 2018 oder 2019 zurückgerufen wurden. Das sind in erster Linie die großen Premium-Autos von Audi mit  (Sechs- und Achtzylinder 3 und 4.2 Liter) , bei denen sich herausgestellt hat, dass mit dem Abgasbetrug auch in Europa bereits  2003 begonnen  und sich bis September 2017 hingezogen wurde (jeweils Baujahr). Erst im August 2019 wurden die neueren Euro 6 Fahrzeuge zurückgerufen,  im November folgten die ersten Rückrufe der  älteren Euro 4 und im Dezember erste Rückrufe der Euro 5 Betrugs-Motoren in diesem Oberklasse-Segment.

Auch in der Kompakt-Klasse gab es neue spannende Rückrufe: Im Dezember häuften sich deutliche Hinweise, dass Volkswagen auch bei den neuen Mittelklassewagen nach Platzen des ersten Dieselskandals weiter getrickst hat, also bei den „kleineren“ (2 Liter) mit dem Nachfolgemotor EA 288 des Betrugs-Motors EA 189, die zur neuen Abgasklasse Euro 6 gehören von 2014 bis 2017 hergestellt wurden. Für Amerika hatte VW diesen Betrug bei EA 288 Motoren längst zugegeben, in Europa hat VW dies stets bestritten.  Indes: bereits im April 2019 hat das KBA in Deutschland 105.000 VW T6 zurückgerufen (Bullis,Kleinautos) die genauso einen EA288 Motor hatten.

Klagsreif ist aber nicht nur der VW-Konzern, sondern auch Daimler-Mercedes, den es als weiteren prominenten deutschen Autobauer endgültig erwischte. Hier hagelte es zwar jede Menge amtliche Rückrufe, dennoch betritt der Konzern den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen. Mercedes-Chef Zetsche konnte noch im Mai noch seinen tränenreichen Abschied zelebrieren. Danach ging es aber sofort los mit den Zwangsrückrufen, die sich bis Jahresende auf weltweit 700.000 summierten.

Unter Druck geraten diese Konzerne auch durch Klagen gegen ihre Ex-Spitzenmanager und die hohen Strafzahlungen, die sie und andere Unternehmen bereits bezahlt und damit Verfehlungen in Sachen Abgas zugegeben haben. Nicht zu vergessen ist das EU-Kartellverfahren gegen VW, Daimler und BMW, das 2019 eingeleitet wurde und bei dem verbotene Absprachen bei der Abgasreinigung von Diesel und Benzinern im Zentrum stehen.

Zurück zu den Anklagen. Vier Jahre nach Platzen des Dieselskandals wurde Ex-VW-Chef Winterkorn am 15. März 2019 auch in Deutschland von der Staatsanwaltschaft Braunschweig angeklagt, u.a. wegen schweren Betrugs, Untreue und Urkundenfälschung, zusammen mit weiteren vier VW-Führungskräften. Gegen insgesamt 40 Beschuldigte laufen Ermittlungen. In den USA war Winterkorn bereits am 3. Mai 2018 angeklagt worden, 10 Monate davor.  Einen Prozess gegen ihn gibt es noch nicht. In den USA deshalb nicht, weil Deutschland seine Staatsbürger nicht ausliefert.

Angeklagt wurde Winterkorn 2019 nochmals in den USA von der Börsenaufsicht. Einmalig in der Geschichte Deutschlands: Gegen die amtierenden VW-Spitzenleute, VW-Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sowie gegen den früheren VW-Chef Martin hat die Staatsanwaltschaft  Braunschweig im September 2019 Anklage erhoben, weil sie die Aktionäre zu spät informiert hätten.

Am 31. Juli 2019 erhob die Staatsanwaltschaft München  II Anklage gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler. Ihm und weiteren drei  Beschuldigten werden Betrug, Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen. Ein Jahr davor, von Juni bis Oktober 2018 war Stadler in U-Haft gewesen, ging dann aber gegen eine Kaution von 3 Millionen Euro wieder frei.

In Österreich hat der Verbraucherschutzverein VW, Bosch und Mercedes geklagt, nicht nur die obersten Manager sondern laut Verbandsklage. Sinn machen diese Anklagen, um den Geschädigten zu ermöglichen, sich als Privatbeteiligte anzuschließen, damit die Verfallsfristen zu stoppen und sich möglicherweise Schadenersatz zu erstreiten.

Nachdem VW (eine Milliarde) und Audi (800 Millionen) bereits im Jahr 2018 ohne Widerstand Millionen- Bußgeld bezahlt hatten, taten dies 2019 – ebenso ohne Widerstand – auch Porsche (535 Mio.) und Bosch (90 Millionen) und Mercedes (870 Mio.) Damit gaben sie zu, die Aufsichtsplicht in Sachen Abgasmanipulationen vernachlässigt zu haben. Diese Gelder gingen an die jeweiligen Länder, in denen der Hauptsitz der genannten Unternehmen ist.

Während die deutschen Länder also von dem Abgasskandal profitierten, mussten die VW-Opfer weiter vor Gericht um ihre Rechte streiten.

Was das alles für das kommende Jahr bedeutet, ist eine weitere eigene Geschichte.