Fahrverbote für modernste Diesler?

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Kurzer Blick in den Rückspiegel: nach Platzen des VW Dieselskandals hat die EU-Kommission im April 2016 für die Typisierung neuer Auto-Modelle drei Maßnahmen beschlossen:

Erstens wurde die strengere Messmethode (WLTP) zeitlich vorverlegt – auf September 2017. Die so typisierten Autos bekamen eine eigene Bezeichnung: Abgasnorm Euro 6 d-temp.

Zweitens wurde  festgelegt, dass schon bei der Typisierung erstmals auch der Straßenwert für Stickstoffoxide gemessen wird und nicht nur im Labor. Also das, was hinten aus dem Auspuff kommt, wenn das Auto auf der Straße fährt.  (RDE).

Drittens kam die EU-Kommission der Autobranche entgegen und gestattete ihr, im Straßentest den eigentlichen Grenzwert um das 2,1 Fache übertreten zu dürfen: statt 80 mg/km durften diese Autos 168 mg/km Stickstoffoxid auf der Straße ausstoßen. Gedacht war dies als Übergansregelung bis 2020, für die Autoindustrie, die nachweislich lange Vorlaufzeiten bis zur Typisierung neuer Automodelle braucht. Die Zeit zwischen April 2016 und September 2017 schien reichlich knapp bemessen. (Ab 2020 sank dieser Übergangsgrenzwert auf 120 mg/km, auf das 1,5-Fache des eigentlichen Grenzwertes)

Genau diese Übergangsregelung war dem EU-Gericht jetzt ein Dorn im Auge. Die EU-Kommission habe ihre Befugnisse überschritten, indem sie den offiziellen Grenzwert von 80 mg/km einfach erhöhte. Beanstandet wurde vom Gericht dabei insbesondere der Umrechnungsfaktor, also wieso die Kommission ausgerechnet auf 168 mg/km bzw. 120 mg/km gekommen war

Hier wird es spannend im Rückspiegel: In unserem Buch (Diesel-Schäden. Wie Sie sich zur Wehr setzten können“! von Peter Kolba/Lydia Ninz, MyMorawa) berichten wir auf Seite 43, wie es zu diesen Überschreitungsgrenzwerten der EU-Kommission kam: es war der damalige bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer, der damals strengere Grenzwerte verhinderte.

Die EU-Kommission wollte damals für 2017 eigentlich nur eine Überschreitung auf 130 mg/km gestatten und diese dann – schon ab 2019, nicht erst ab 2020 – auf 100 mg/km senken. Doch Seehofer setzte sich durch, berichtet der Rechercheverbund Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR am 23. September 2016). Die Süddeutsche Zeitung deckte (25.8.2017) auch noch auf, dass Audi bereits in einem Strategiepapier aus dem fernen Jahr 2012 (18. Juni 2012) skizziert hatte, welche Grenzwerte politisch durchsetzbar wären, wenn eines Tages die tatsächlichen Abgaswerte  gelten. Zufall oder nicht: es sind genau dieselben Grenzwerte, die Seehofer vorgeschlagen und die Kommission vor zwei Jahren beschlossen hatte.

Wie sich dieses Urteil auswirkt, ist noch völlig offen. Zwei Monate lang hat die Kommission Zeit, sich rechtlich dagegen zu wehren. Dann haben die genannten Städte ein weiteres Jahr lang Zeit, konkrete Fahrverbote zu verhängen.

Möglicherweise sind es  gerade die deutschen Autobauer, die davon profitieren. Denn bei den bisherigen Straßentest über Euro 6 Pkw schneiden einige Modelle deutscher Autobauer ausgezeichnet ab und stoßen auf der Straße sogar weniger Stickstoffoxid aus als der Grenzwert von 80 mg/km ihnen vorschreibt.  Etwa der Audi A5 2.0 TDI mit 40 mg/km (Erstzulassung 5/2016), der Mercedes E 200d mit neuer Motorengeneration OM 654 mit 43 mg/km (Erstzulassung 9/2016), der neue Audi Q3 2.0 TDI quattro mit 48 mg/km (Erstzulassung 3/2016) und der neue VW Sharan 2.0 TDI mit voraussichtlich 67 mg/km (Erstzulassung 2/2017). Mit diesen Werten hängen diese Euro 6 Fahrzeuge ihre französische, italienische, amerikanische und japanische Konkurrenz um Längen ab. Man kann sie wohl kaum aus den Stadtzentren aussperren, wenn sie nachweislich derart sauber unterwegs sind.